Wie alles begann
Jahrzehntelang war er verschwunden hinter dem „Eisernen Vorhang“, der kleine baltische Staat Litauen.
Verschwunden war er auch aus dem Gedächtnis der Menschen- viele wussten kaum etwas von seiner Existenz. Seit dem 13. Jahrhundert, als erste Schiffe der deutschen Kreuzritter vor der Küste Litauens auftauchten, waren die Menschen unterworfen und wurden von fremden Heeren beherrscht. Ein jahrhundertealter Traum des litauischen Volkes nach nationaler Souveranität wurde wahr, als das menschenverachtende kommunistische Sowjetregime zerfiel.
Schon bald nachdem Litauen die Unabhängigkeit wiedererlangt hatte, wandte sich die Regierung an die Bundesregierung mit der Bitte um Aufbauhilfe. Die Abgeordneten des Bundestages trugen das Anliegen in den Kreistagssitzungen vor und suchten Menschen, die bereit waren, sich mit viel persönlichem Engagement für das Wohlergehen der litauischen Bevölkerung einzusetzen und Hilfsmaßnahmen zu organisieren. So wurde im Herbst 1991 im Kreis Steinfurt unter Federführung von Annette Willebrandt der Arbeitskreis „Hilfe für Litauen“ gegründet.
Dieser Arbeitskreis, der sehr eng zusammen arbeitete mit der Osteuropahilfe, stellte in kurzer Zeit einen Hilfstransport zusammen, der 60 Kubikmeter Hilfsgüter umfasste. Eine Delegation bestehend aus dem Ehepaar Willebrandt und Karl Josef Laumann begleitete den Transport und brachte am 15. Mai 1992 medizinische Geräte, wie z. B. Wärmebettchen für Frühgeborene, Medikamente und Spielzeug im Wert von ca. 50 000 DM sowie Geldspenden in Höhe von 10 0000 DM zur Uni-Kinder-Klinik in Vilnius. Mit Unterstützung von Pater Dominikus konnten darüber hinaus Lebensmittel, Kleidung und Spielzeuge an kinderreiche Familien und ältere Menschen in den Kirchengemeinden Trakei und Sumskas verteilt werden. Die Gastfreundschaft, mit der die Litauer die drei Begleiter trotz ihrer Armut empfingen, berührte. Die vor Ort gewonnenen Eindrücke zeigten deutlich, wie dringend Litauen auf materielle Hilfe und finanzielle Unterstützung von außen angewiesen war. Schon während des Besuchs stand deshalb für die Deligierten fest, auch in Zukunft in den Heimatgemeinden Überzeugungsarbeit zu leisten und wann immer möglich um weitere Spenden zu werben. In diesem Sinne organisierte der Arbeitskreis in den kommenden beiden Jahren weitere Hilfstransporte.
1994 lernte Karl Josef Laumann, der als Beobachter der ersten freien Wahlen in Litauen war, den litauischen Abgeordneten Antanas Racas kennen. Von ihm erfuhr er von der Errichtung eines Altenheimes durch Pfarrer Degutis in der kleinen Gemeinde Rietavas.
Um gezielter Hilfe leisten zu können, hielt der Arbeitskreis schon einige Zeit Ausschau nach einer kleineren, überschaubareren Gemeinde.
War Rietavas der gesuchte Ort?
Nachdem der Arbeitskreis zunächst einen ersten Telefon- und Briefkontakt zu Degutis geknüpft hatte, machten sich Annette und HJ Willebrandt 1995 auf den Weg nach Rietavas, um sich einen Eindruck von dem Vorhaben des Pfarrers zu verschaffen und ggf. Möglichkeiten der Hilfe auszuloten. In einem Gespräch erlebten sie Degutis als einen Menschen mit Visionen und Tatkraft. Er hatte den Plan, dem Altenheim eine Werkstatt anzugliedern, in der Türen, Fenster, Möbel etc. angefertigt werden. Der Gewinn aus dem Verkauf sollte wiederum eingesetzt werden zur Unterhaltung des Altenheimes. Seine Idee von der „Hilfe zur Selbsthilfe“ und seine Person überzeugten auch A. Und HJ Willebrandt. Nach dem Besuch waren sich beide einig, dass eine realistische Möglichkeit bestand, mit Geld- und Sachspenden beim Aufbau des Altenheimes effektiv zu helfen.
Als mit der Hilfe Anfang 1996 begonnen wurde, war der Rohbau bereits erstellt. Bis zur Einweihungsfeier des Heimes am 31.08.1997 arbeitete der Arbeitskreis auf Hochtouren, um all die Dinge zu besorgen, um die Degutis ganz konkret gebeten hatte und die für die Ausstattung zwingend notwendig waren. Gleichzeitig wurde in dieser Phase mit der Unterstützung des Krankenhauses begonnen, für die sich Dr. H. Möhlenkamp besonders engagierte. Nachdem er die Klinik erstmals besucht hatte, war es ihm ein persönliches Anliegen, den Kranken zu einer moderneren medizinischen Versorgung als auch zu einem menschenwürdigeren Krankenhausaufenthalt zu verhelfen.
In der Zeit der Vorbereitung des Hilfstransportes konnte der Arbeitskreis außerdem H. Decruppe gewinnen, der sich sehr erfolgreich für die sanitäre Ausstattung des Altenheimes und des Krankenhauses einsetzte.
Am 05.07.1997 war es schließlich so weit: Der bisher größte Hilfstransport mit sieben Fahrzeugen aus Saerbeck startete in Richtung Rietavas, beladen mit Badewannen, Toiletten und Waschbecken, Krankenbetten, Bettwäsche, zwei von J. Winnemöller gestifteten Wachmaschinen, Wandfarben u.v.m.
Sieben Wochen später folgte eine Gruppe Saerbecker dem Transport, um an der Einweihungsfeier teilzunehmen. Auf einer Tafel am Haupteingang des Altenheimes waren all die Menschen namentlich erwähnt, die sich in besonderer Weise um den Aufbau verdient gemacht haben, darunter auch viele aus der Saerbecker Gruppe.
Am 19.11.1997 zogen die ersten Bewohner ein und die Arbeit in der soeben neu entstandenen Einrichtung wurde offiziell aufgenommen. Im gleichen Monat wurden auf dem Saerbecker Adventsmarkt erstmals aus Weiden geflochtene Dinge, wie z.B. Wäsche- und Einkaufskörbe zum Verkauf angeboten, dessen Erlös natürlich selbstverständlich für das Altenheim bestimmt war. Der Verkauf von aus Litauen stammenden Gegenständen ist Tradition geworden: Jahr für Jahr kommen Vertreter des Altenheimes zum Adventsmarkt nach Saerbeck und bieten ihre beliebten Waren, wie z.B. Leinentischdecken und –handtücher an.
Vom 29.10-31.10.1999 war wieder einmal eine Delegation aus Saerbeck in der Kirchengemeinde St. Michael bei Pfarrer Degutis zu Gast. Vorab bat W. Roos um ein Gespräch mit dem Dorfältesten der Gemeinde Rietavas, die damals noch zu Plunge gehörte. Anlass dieses Gespräches sollte sein, einerseits die Verwaltung näher kennen zu lernen und andererseits abzustimmen, an welcher Stelle die Gemeinde Saerbeck der Gemeinde Rietavas behilflich sein könnte. Seit diesem Gespräch wird die Gemeinde insgesamt unterstützt, d.h. auch Einrichtungen wie Schulen und Kindergärten erhielten Sach- und Geldspenden.
Im Jahr 2000 wurde Rietavas selbständig. Von litauischer Seite wurde nun der Wunsch nach einer offiziellen Gemeindepartnerschaft geäußert. Dieser Wunsch stieß auch bei den Saerbeckern auf Sympathien, waren doch in den letzten Jahren während der gegenseitigen Besuche intensive persönliche Kontakte entstanden verbunden mit vielen anrührenden Erlebnissen und schönen Erinnerungen. Der Rat der Gemeinde Saerbeck beschloss im März 2001 einstimmig die Gemeindepartnerschaft, die im Mai 2001 in Litauen feierlich beurkundet wurde.
Selbstverständlich hilft man sich seit der Beurkundung unter Partnern auch weiterhin- über diese Hilfe hinaus hat die noch junge Partnerschaft insbesondere aber auch das Kennenlernen der Menschen und Kulturen untereinander zum Ziel.
Rückblickend auf die letzten 13 Jahre sei insbesondere den Menschen gedankt, ohne die die nun bestehende Gemeindepartnerschaft nicht zustande gekommen wäre und nicht hätte aufrechterhalten werden können. Als Urväter dieser Partnerschaft gilt dem Abgeordneten Antanas Racar und Pfarrer Degutis sowie Karl Josef Laumann als Schirmherrn des Arbeitskreises unser besonderer Dank. Gedankt werden soll auch Annette und HJ Willebrandt, die von Beginn an den Schriftverkehr führten, Kontakte knüpften und aufrechterhielten sowie Spendenaufrufe organisierten.
Die Durchführung der Hilfstransporte wurde durch die litauische Botschaft erheblich erleichtert, die alle Visen schnellstmöglich und kostenlos ausstellte. Auch ihr hierfür vielen Dank.
Ein besonderer Dank ebenso den beiden Bürgermeistern, Wilfried Roos und Antanas Ceneky, zwischen denen während vieler Briefwechsel, Telefonate und gegenseitiger Besuche ein persönlicher Funke übersprang. Sie leisteten in den Verwaltungen große Überzeugungsarbeit und stehen in einem ständigen Kontakt miteinander. Ohne sie wäre das politische Näherkommen der beiden Gemeinden und somit auch die Vereinsgründung nicht möglich gewesen.
Letztendlich sei allen herzlichst gedankt, die sich am Gelingen der Hilfstransporte als auch der Gemeindepartnerschaft beteiligt haben durch Spenden, Mithilfe beim Beladen der LKW’s und Begleitung des Transportes, Betreuung und Unterbringung der Gäste u.v.m.
Zu wünschen ist, dass die Partnerschaft sich weiter fortsetzt und intensiviert. Wir hoffen auch in Zukunft die Menschen zu finden, die die Partnerschaft mittragen und immer wieder neu mit Leben füllen.
Herzlich willkommen heißen wir Bürger aus Saerbeck, die nun neugierig auf das Leben und die Kultur in Rietavas geworden sind und ein Interesse verspüren an den Aktivitäten und den Arbeiten des Vereins teilzunehmen.
Möge zwischen den Menschen in Rietavas und Saerbeck immer ein herzliches, verbindendes Verhältnis bestehen, das an die jungen Menschen weitergegeben wird.